Presseschau zur Wahl von Friedrich Merz: »Er ist ein Mann von gestern, keiner für morgen« - DER SPIEGEL

2021-12-29 10:13:45 By : Ms. Kelly Deng

Friedrich Merz: Der »Ichling« hat sein Ziel erreicht – und muss nun zeigen, ob er die CDU besser Vertritt als seine Vorgänger

Die Basis hat entschieden: Friedrich Merz soll neuer Parteivorsitzender der CDU werden. Nach der Schlappe bei der Bundestagswahl im September ruhen alle Hoffnungen auf dem konservativen und marktliberalen Sauerländer. Die Parteilinken erhoffen sich eine stärkere Abgrenzung zur Ampelkoalition, die Parteirechten die Rückkehr zum »wahren Kern« der Christdemokraten. Deutsche und österreichische Medien sagen dem neuen Parteivorsitzenden dabei einen steinigen Weg voraus: Denn mit reinem Konservatismus, so die einhellige Meinung, lassen sich auch in Zukunft kaum noch Wahlen gewinnen.

»Nun feiert der Sauerländer im dritten Anlauf einen Triumph – er ist tatsächlich der Basis-Liebling. Der politische Marathon-Mann ist am Ziel, zwei Drittel der Teilnehmer an der Abstimmung kreuzten seinen Namen an. Das ist mit Blick auf die zwei Konkurrenten, die jeweils anerkannte Politprofis sind, ein beeindruckendes Ergebnis. (...) Seine dritte Bewerbung stimmte er kühl kalkulierend auf die neue Lage ab: Die CDU ist nun nicht mehr an der Regierung, sondern Oppositionspartei. Sie kann kaum noch junge Wähler begeistern, hat kaum Frauen in höheren Positionen und weist beträchtliche Lücken im Programm auf. Diese Partei braucht keine krawallige Politik im Interesse der Wirtschaft, so wie Merz sie lange Zeit beschrieben hat. Der 66-Jährige, der als ›Ichling‹ gern seine eigene Größe und Weitsicht in die Waagschale geworfen hatte, sprach plötzlich von Teamgeist und Frauenquote, baute eine Brandmauer nach rechts auf und entdeckte das Soziale als christdemokratische Leerstelle. (...) Nun hat Merz die Chance, das umzusetzen, was er als modernen Konservatismus versteht.«

»Es besteht in der CDU offensichtlich große Sehnsucht nach einem ›starken Mann‹, der alle Kraft auf die Parteiarbeit richtet und zugleich der Ampel aus SPD, Grünen und FDP gut Paroli bieten kann. So einer ist Merz zweifelsohne. Die Möglichkeiten der Opposition auf der politischen Bühne sind begrenzt, Merz wird sie zu nutzen wissen. Sein konservatives Profil kann eine deutliche Alternative zu den Ampelpositionen sein und dürfte den politischen Diskurs in Deutschland beleben. Andererseits: Merz ist nicht der Heilsbringer, für den ihn viele halten. Trotz allen Engagements: Er ist ein Mann von gestern, keiner für morgen. Wer Aufbruch möchte, wählt keinen 66-Jährigen an die Spitze. Er wird gebraucht für den Übergang, weil die Partei nach so vielen Jahren mit Merkel personell ausgeblutet ist.«

»Das Bild von Friedrich Merz, das von Teilen der Öffentlichkeit gezeichnet wurde, stimmt heute nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. Er hat verstanden, dass er die Frauen in der Partei braucht, um erfolgreich zu sein. Er weiß auch, dass er mit markigen wirtschaftsliberalen Sprüchen in der Breite der Gesellschaft keinen Zuspruch findet. Und er spricht schon lange nicht mehr davon, dass er AfD-Wähler in Scharen zurückholen will. Er darf die CDU nicht nach rechts rücken, muss sie aber zu neuer Klarheit führen. Merz hat zwar betont, dass seine Wahl ausdrücklich keine Vorentscheidung für die Kanzlerkandidatur 2025 ist. Im Zweifel wird er einem oder einer anderen den Vortritt lassen müssen. Das aber dürfte ihm, da ist er dann vermutlich doch noch der Alte, sehr schwerfallen.«

»Merz übernimmt einen Sanierungsfall, eine inhaltlich bankrotte Partei. Merkel hat die CDU entpolitisiert, sie programmatisch veröden lassen. Sie ist unter ihr das geworden, was sie schon am Schluss der Ära Kohl war: ein Kanzlerinnen-Wahlverein – der letztlich vom Kanzleramt ausgesperrt blieb. Merz ist eine Ikone der Merkel-Verdrossenen. Sein Name umweht eine Art Sehnsuchtsmelodie, in der die Erinnerungen an jene Zeiten anklingen, als die CDU von weniger Selbstzweifeln angekränkelt war.«

»So deutlich ist noch kein Parteivorsitzender von der Basis bestätigt worden. Friedrich Merz nimmt ein wahrlich robustes Mandat mit nach Berlin. Er wird es brauchen. Denn dort ist er noch ein »König ohne Land«. Der Machtkampf hat ohne ihn schon vor der Abstimmung begonnen. Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus hat das Machtvakuum genutzt und die Reihen dichtgemacht. Mit Thorsten Frei ist sein Vertrauter Erster Parlamentarischer Geschäftsführer. Helge Braun ist für den Vorsitz des wichtigen Haushaltsausschusses nominiert. Beide hatten sich zuvor für Brinkhaus als Chef ausgesprochen. Merz muss die Macht von Brinkhaus beschränken, am besten seinen bis zum 30. April befristeten Posten übernehmen, ohne den Zusammenhalt von Fraktion und Partei zu gefährden. Dafür umgarnt er den Arbeitnehmerflügel, der im bisher fremd war, oder setzt auf Abgeordnete aus dem Osten. Auch ein sehr gutes Ergebnis beim Parteitag würde ihm helfen.«

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»Für den Moment ist der Sauerländer ja genau der Richtige. Es wird sich jedoch zeigen, ob er mit der Zeit dem meinungsstarken Nachwuchs Luft zum Atmen lässt, damit sich neue Gesichter profilieren können. Etwas, das in der Ära Merkel unmöglich war. Bei der nächsten regulären Bundestagswahl 2025 wird Merz knapp 70 Jahre alt sein. Spätestens dann muss in der Partei ein glaubhafter Generationswechsel vollzogen sein, damit vielleicht einer wie der junge CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ins Rennen um das Kanzleramt gehen kann.«

»Die Fulminanz, mit der Friedrich Merz den CDU-Vorsitz erobert hat, verändert das politische Koordinatensystem. Jetzt erst zeigt sich in aller Brutalität, wie sehr die CDU-Mitglieder, jenseits vieler medialer Belehrungen, nach 16 Jahren Merkel eine Neuausrichtung der Union wollen, die auch bürgerlich-konservativ denkenden Menschen wieder eine geistige Heimat gibt. Das Merkel-Lager hat sich keinen Gefallen getan, als es ausgerechnet Helge Braun ins letzte Gefecht schickte. Der hilflose Ex-Kanzleramtsminister wirkte wie eine Karikatur der untergegangenen Ära. Dumm gelaufen ist es auch für die CSU. Markus Söder war viele Jahre der Ehrenvorsitzende des Aktionsbündnisses zur Verhinderung von Merz. Seine bundespolitische Rolle ist jetzt erst mal ausgespielt. Liebend gern hat Söder die CDU seine Macht spüren lassen. Ab jetzt dürfte es umgekehrt laufen. Denn Merz hat auch in Bayern viele Anhänger.«

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Friedrich Merz: Der »Ichling« hat sein Ziel erreicht – und muss nun zeigen, ob er die CDU besser Vertritt als seine Vorgänger

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