Raaw Jibb im Test: Das Heavy-Duty-Trail-Bike - MTB-News.de

2022-08-13 02:19:50 By : Ms. fenglian Ao

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Raaw Jibb im Test: Die kleine Firma Raaw hat sich in den vergangenen Jahren mit ihrem voll auf Zuverlässigkeit getrimmten Ansatz einen Namen in der Bike-Szene gemacht. Auf das Enduro-Bike Madonna folgte vor einem Jahr das Raaw Jibb: Ein Trail-Bike mit 150/135 mm Federweg, 29″-Laufrädern und natürlich einem schicken Alu-Rahmen, der mehr als nur ein paar Gene vom Madonna übernommen hat. Wir konnten es im direkten Vergleich mit der aktuellen Trail-Bike-Konkurrenz auf den anspruchsvollen Strecken Südfrankreichs testen.

Das Raaw Jibb sieht auf den ersten Blick ziemlich bekannt aus … und auf den zweiten und dritten auch. Das liegt daran, dass sich das Trail-Bike seinen Rohrsatz mit dem älteren und mittlerweile weitverbreiteten Enduro-Bruder Madonna teilt (Raaw Madonna V2-Test). Entsprechend ist das für unseren Test natürlich im Raw-Look gelieferte Jibb kein Leichtgewicht: 15,64 kg sprengen den üblichen Rahmen deutlich. Dafür soll es durch gedichtete Lager, externe Züge und eine aufgeräumte Optik in Sachen Haltbarkeit und Servicebarkeit punkten. Das Raaw Jibb ist aktuell in vier Größen sowie zwei Farbvarianten (Schwarz  & Raw) als Rahmenset mit Dämpfer ab 2.390 € lieferbar.

Das Raaw Jibb ist das einzige Aluminium-Rad in unserem Trail-Bike-Vergleichstest 2022. Die kleine Firma aus dem Allgäu ist komplett von dem Werkstoff überzeugt und verzichtet gerne auf die – nach eigenen Angaben – 500 g Gewichtsersparnis, die mit einem Carbon-Rahmen möglich wären. Dank einer aufgeräumten Rahmenform mit einem klassischen Viergelenker-Hinterbau samt senkrecht montiertem Dämpfer und etwas Hydroforming wirkt das Jibb allerdings wie aus einem Guss und muss sich rein optisch keineswegs vor der aalglatten Carbon-Konkurrenz verstecken. Das ist umso beachtlicher, da das Jibb komplett außen verlegte Züge besitzt – eine Seltenheit im Jahr 2022. Die Vorteile – einfache Wartung & klapperfrei – liegen auf der Hand und dank eines auf der Oberseite eingewölbten Unterrohrs ist die Zugverlegung von der Seite betrachtet fast unsichtbar.

Nicht nur der Aluminium-Rahmen soll lange Freude bereiten, auch an den Lagerpunkten hat sich Raaw einiges überlegt. So sind sämtliche Lager doppelt gedichtet und für ein Trail-Bike ganz schön groß dimensioniert. Auch an den Dämpferaugen gibt’s Kugellager für ein sanftes Ansprechverhalten. Sämtliche Schrauben setzen auf dieselbe Inbus-Größe, was Multitool-Muffel freuen wird. Natürlich gibt’s Schaden- und Geräusch-reduzierende Gummi-Schoner an der Kettenstrebe und im Tretlagerbereich. Zusätzlich hat Raaw am Ober- und Unterrohr Möglichkeiten zur Montage von Zubehör und Werkzeugen über Flaschenhalter-Aufnahmen untergebracht.

Der Viergelenker-Hinterbau bietet eine leichte Progression von 15 %, vergleichsweise hohe Anti-Squat-Werte für eine gute Treteffizienz und einen eher geringen Anti-Rise, um nicht zu viele Einflüsse der Bremse aufs Fahrwerk zu spüren. Dazu gibt’s austauschbare Inserts am Ausfallende, die die Kettenstrebenlänge zwischen 440, 445 und 450 mm justieren. Je nach Größe wird das Rad mit verschiedenen Inserts geliefert – diese können allerdings auch im Nachhinein getauscht werden.

In Sachen Geometrie geht Raaw keine riesigen Experimente ein – warum auch? Die vier Größen setzen alle auf 29″-Laufräder und bieten 420 bis 495 mm Reach, kombiniert mit eher hohen Stack-Werten von 608 bis 649 mm. Dazu gibt’s einen ausgewogenen Lenkwinkel von 65,5°, 77,5° Sitzwinkel und über Flipchips teilweise mitwachsende Kettenstreben von 440 bis 450 mm.

Beim ersten Aufsteigen auf das Raaw Jibb fällt sogleich die hohe Front auf. Auch auf dem Papier ist der Stack von 636 mm unseres L-Rahmens nicht ganz wenig für ein Rad dieser Kategorie, allerdings auch nicht unerhört hoch. In Kombination mit einigen Spacern unter dem Vorbau und einem Lenker mit ganzen 35 mm Rise ergibt sich jedoch ein ganz schöner Turm. Kombiniert mit dem vergleichsweise knappen Reach von 470 mm und dem angenehm steilen Sitzwinkel ergibt sich eine ziemlich aufrechte und relaxte Sitzposition. Auf Schotteranstiegen schlägt sich das Raaw durch sein kaum wippendes Heck auch mit offenem Dämpfer erstaunlich gut. Ausgebremst wird es jedoch recht spürbar durch das hohe Gewicht. Gerade wenn es steiler und der Tritt etwas unrunder wird, macht sich dieses bei jeder Kurbelumdrehung bemerkbar. Mal eben einen Sprint anziehen möchte man damit auch nicht unbedingt, auch wenn der antriebsneutrale Hinterbau dies hergeben würde.

Bergab braucht es durch den hohen Lenker auch etwas Zeit zur Eingewöhnung. Um mehr Druck auf die Front zu bekommen und bei technischen Gegenanstiegen das Vorderrad auf dem Boden zu behalten, haben wir deshalb auf einen maximal tief montierten 25 mm Riser-Lenker gesetzt. Damit fühlt sich das Raaw wesentlich ausgewogener aus, auch wenn sich die „Tiefe-Front-Liebhaber“ aus unserer Testcrew gerne einen noch flacheren Lenker gewünscht haben. Nun kann man sich auch aufs Fahrwerk konzentrieren und bemerkt schnell, dass dieses einen wirklich hervorragenden Job macht. Das Heck gibt sich größte Mühe, mehr Federweg als die tatsächlichen 135 mm vorzugaukeln und passt perfekt zur 150-mm-Gabel an der Front. Bei den meisten Testern haben die Angaben von Öhlins direkt perfekt gepasst. Im Vergleich zu den Fox-Fahrwerken der meisten Konkurrenten im Trail-Bike-Test fühlt sich das Raaw feinfühliger und aktiver an. So hat man am Ende der Abfahrt meist seinen gesamten Federweg genutzt, davon allerdings herzlich wenig mitbekommen.

Für ein Rad seiner Federwegs-Kategorie kann man es an Bord des Raaw Jibb also ganz schön laufen lassen. Wenn es darum geht, mit den Rädern den Boden zu verlassen, macht das Trail-Bike seinem Namen ebenfalls alle Ehren und lässt sich behände über Absprünge und Wellen bewegen. Ruppige Landungen steckt das Fahrwerk ganz locker weg, wenn auch durch den limitierten Federweg nicht immer plüschig. Etwas behäbig wird es allerdings in engen Kurven: Durch die Kombination aus hohem Gewicht und hohem Lenker zirkelt das Alu-Bike nicht ganz so flink über verschlungene Trails wie die Konkurrenz im Vergleichstest. Wir raten also, definitiv einen Lenker mit wenig Rise zum Rahmenkit zu erwerben, um in eine etwas aktivere Fahrposition zu gelangen.

In unserem Testfeld ist das Raaw Jibb eindeutig auf der potenteren Seite des Trail-Bike-Spektrums angesiedelt und vergleicht sich so hervorragend mit dem Scor 4060 ST. Dieses ist dank Carbon-Rahmen ein ganzes Kilogramm leichter und bietet 5 mm mehr Federweg am Heck. Bergauf würden wir dem äußerst antriebsneutralen Raaw allerdings fast den Vorzug geben. Am Scor lohnt es sich durchaus, den Lockout-Hebel zu betätigen, während das Raaw selbst unter sensiblen Testern offen bleiben konnte. Bergab hingegen wildert das 4060 ST durchaus im Enduro-Terrain und lädt auch zum stumpfen Ballern ein, während das Jibb ganz klar ein verspieltes und potentes Trail-Bike bleibt. Auch die Fahrposition könnte kaum unterschiedlicher sein: Das Scor ist lang mit einem eher etwas flachen Stack, das Raaw kürzer mit einem sehr hohen Stack.

Das Last Cinto wurde nach einem gänzlich anderen Ansatz entwickelt und ist dank ultra-leichtem Carbon-Rahmen ca. 2,5 kg leichter, hat allerdings 10 mm Federweg mehr am Heck. Außerdem war unser Testrad in der von Last empfohlenen Größe ganze 2 cm länger im Reach und das mit Abstand größte Rad im Test. Das macht sich auch auf dem Trail bemerkbar: Obwohl das geringe Gewicht durchaus dazu führt, dass man das Last wesentlich leichter anheben und platzieren kann als das Raaw, fühlt sich das leichte Ruhrpott-Bike im Vergleich behäbig und unausgewogen an. Das liegt auch am Heck des Cintos, das nicht so effizient mit seinem Federweg umgeht wie das Raaw, was sich darin äußert, dass es weniger sensibel anspricht und an Kompressionen durchrauscht. Bergauf zieht das Last zwar mühelos davon, wohler gefühlt haben wir uns jedoch auf dem bequemen Raaw Jibb, das auch hier wieder ruhiger am Heck bleibt.

Mit seinem wuchtigen Alu-Rahmen kommt das Raaw Jibb für ein Trail-Bike recht ungewohnt martialisch daher. Das macht sich leider stark auf der Waage und auch in den Beinen bemerkbar. Mit seinem äußerst antriebsneutralen und sensiblen Fahrwerk gibt sich das Jibb jedoch größte Mühe, dieses Handicap zu kaschieren. In der Abfahrt kitzelt es so das letzte bisschen Performance aus seinem limitierten Federweg heraus und scheut nicht vor großen Sprüngen und harten Abfahrten zurück. Gleichzeitig weist es einen höheren Spieltrieb als ein Enduro-Bike auf, kann aber nicht ganz die Wendigkeit leichterer Trail-Bikes aufweisen. Wer viel Wert auf Haltbarkeit und Schrauber-Freundlichkeit legt und gleichzeitig bereit ist, in Sachen Gewicht beide Augen zuzudrücken, der wird mit dem Raaw Jibb mehr als zufrieden sein.

Die sieben Modelle in unserem Trail-Bike-Test wurden im direkten Vergleich auf denselben Strecken unter praktisch identischen Bedingungen gegeneinander getestet. Unsere Teststrecke in Südfrankreich hatte dabei alle Elemente zu bieten, die ein modernes Trail Bike beherrschen sollte. Zur besseren Vergleichbarkeit der Trail- und Abfahrtsqualitäten wurde ein Großteil der Höhenmeter per Shuttle bewältigt. Aber auch auf typischen Schotterstraßen- und Singletrail-Anstiegen mussten sich die Bikes gegeneinander beweisen.

Alle Bikes mit einheitlichen Reifen von Schwalbe ausgestattet. Alle Lenker wurden auf 780 mm gekürzt. Außerdem hat jeder der insgesamt fünf Tester seine individuell bevorzugten Griffe und Pedale ans jeweilige Modell geschraubt. Diese Vereinheitlichung der Kontaktpunkte zwischen Fahrer, Fahrrad und Untergrund sorgt für eine optimale Vergleichbarkeit zwischen den Kandidaten im Testfeld. Weiterhin hat jeder Tester kleinere Änderungen vorgenommen, um das jeweilige Bike optimal an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Hier haben wir das Raaw Jibb getestet

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