Recycling bei der Sanierung: Diese jungen Firmen finden verwertbare Baustoffe im Altbau

2022-09-10 02:15:25 By : Ms. Zero Tse

Junge Unternehmen wie Concular und Madaster katalogisieren wiederverwendbare Baustoffe. Das hilft dem Klima enorm.

In grauen Flocken rieselt das Styropor der Fassadendämmung auf die Architektin Annabelle von Reutern herab. Sie tritt gerade aus der Eingangstür eines Baus aus den 1950ern, als auf einer Hebebühne darüber ein Bauarbeiter den Putz aufstemmt und die Wärmedämmung von der Wand bricht. Die Styroporreste sind quer über die Baustelle verstreut. Abseits liegen haufenweise Säcke voll alter Mineralwolle, ebenfalls ein Dämmstoff, ebenfalls Sondermüll. Auf den Säcken warnt eine Aufschrift: Kann Krebserkrankungen hervorrufen!

Gemeinsam mit Dominik Campanella besucht von Reutern die Baustelle des künftigen Zille-Campus, einem Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg. Der Bestandsbau wird derzeit gründlich saniert. Kopfschüttelnd betrachten von Reutern und Campanella, was beim Umbau an wenig ökologischen Bautechniken und Materialien unter dem Putz zum Vorschein kommt.

Solche Erfahrungen haben sie zu ihrem Start-Up Concular motiviert: Sie wollen das Bauwesen nachhaltiger machen, ressourcenschonender. „Das Bauwesen verursacht enorme Mengen Müll“, sagt von Reutern. Die Baubranche erzeugt 55 Prozent des deutschen Abfalls, besagt eine Statistik des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2019.

Materialien wie die alten Dämmungen müssen entsorgt werden, aber gebrauchte Bauteile könnten in anderen Bauvorhaben verwendet werden. Das ist Conculars Ziel. „Bei Ziegeln finden die Leute es sogar gut, wenn die Patina haben“, sagt von Reutern. „Insgesamt muss sich aber noch was am Mindset ändern“, bis es als normal gelte, auch mit gebrauchten Bauteilen zu bauen.

Concular ist eine Vermittlungsbörse. Das Unternehmen wird kontaktiert, bevor umgebaut oder abgerissen werden soll. Dann besichtigt Concular das Gebäude und sucht darin nach wiederverwendbaren Elementen. So auch im Zille-Campus: Unter anderem 200 Fenster, Terrazzo-Fliesen und abgehängte Decken konnte Concular weiterverkaufen. „Gut ein Drittel dessen, was aus diesem Gebäude weiterverwendbar ist, konnten wir vermitteln“, schätzt Concular-Mitgründer Campanella.

Was bei Abrissen weggeworfen wird, wird oft minderwertig recycelt. Nachhaltiger ist es, noch intakte Bauteile woanders wiedereinzubauen. So macht es Concular. Ein Lager für gebrauchte Bauteile hat das Unternehmen aber nicht. „Das Haus ist unser Lager“, sagt Annabelle von Reutern. Je länger Concular das brachliegende Haus als Lager nutzen kann, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie Bauteile verkaufen. „Am liebsten sind wir ein Jahr vorher im Projekt“, sagt von Reutern. Beim Zille-Campus hatten sie ein halbes Jahr für den Verkauf.

Das Haus ist unser Lager

Eigentümer des Zille-Campus ist der Anfang 2020 gegründete Berliner Projektentwickler Assiduus, der von sich sagt, ökologisch verantwortlich investieren zu wollen. Dominik Campanella von Concular sieht darin ein vorausschauendes Geschäftsmodell. Er erwartet, dass durch EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen und ESG-Reporting, also Offenlegungen von Unternehmen zu ihren Umwelt- und Sozialwirkungen, der Druck auch für Immobilienfirmen steigen wird, nachhaltig zu wirtschaften.

Unternehmen werden dadurch nicht zu nachhaltigem Handeln gezwungen, aber ein offengelegtes gutes Abschneiden in solchen Nachhaltigkeitskriterien kann zum Wettbewerbsvorteil werden. Nach Campanellas Einschätzung werde das den Wert nachhaltiger und insbesondere „kreislauffähiger“ Immobilien steigen lassen. Das sind im engeren Sinne solche, deren Baumaterialien bei einem Abriss trennbar, recycelbar oder kompostierbar sind.

Concular wurde im selben Jahr wie Assiduus, nämlich 2020, in Stuttgart gegründet, hat seinen Schwerpunkt aber mit 30 Mitarbeiter:innen inzwischen in Berlin-Neukölln. Im vergangenen Jahr machte Concular einen Gewinn im niedrigen fünfstelligen Bereich. Das Unternehmen finanziert sich über Honorare für die Bauteil-Vermittlung und über den Verkauf derselben. Der Eigentümer Assiduus bekommt nur einen Teil des Verkaufspreises.

Gut drei Kilometer weiter südlich vom Zille-Campus, in Berlin-Wilmersdorf, hat Patrick Bergmann einen Co-Working-Schreibtisch in den Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei Drees und Sommer gemietet. Bergmann ist Geschäftsführer von Madaster. Dem Concular-Team läuft er alle paar Tage bei Events über den Weg, beide verfolgen ähnliche Ziele.

Wie Concular will auch Bergmann Bauteile und Rohstoffe, die bei Abrissen frei werden, in Neu- oder Umbauten vermitteln, um Ressourcen zu sparen und energiereiche Neuproduktionen zu verringern. Aber Concular ist ein Bauteile-Vermittler, Bergmanns Madaster ist eher ein Material-Bibliothekar.

Madaster will ein Material-Kataster für Städte sein und dadurch bewirken, dass ein Haus – auch wenn es abgerissen wird – nicht mehr als Müll, sondern als Materialquelle gesehen wird. Dazu passt, dass die Plattform nicht nur die Menge eines im Haus verbauten Rohstoffes anzeigt, sondern auch den jeweils aktuellen Börsenkurs dazu liefert.

Bergmann sitzt in einem Konferenzraum namens „Kreuzberg“, auch die Nachbarräume sind nach Berliner Ortsteilen benannt. Auf seinem Laptop zeigt der 36-Jährige seine Madaster-Software anhand eines Beispielhauses. Auf der Plattform können Gebäudeeigentümer Planungsmodelle ihrer Architekt:innen hochladen, und zu dokumentieren, was in ihrem Haus verbaut ist. Zum Beispiel: 2200 Tonnen mineralische Rohstoffe (vorwiegend Beton) und 190 Tonnen Kunststoff. Nachzuverfolgen auf verschiedenen Gebäudeebenen, wie der Fassade, Konstruktion und Innenausbau. Einsehen dürfen die Daten nur die aktuellen Eigentümer:innen, nicht mal Bergmann selbst. „Die Daten bleiben am Gebäude“, sagt er.

Wir sind der Auffassung, dass das was wir machen eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand ist

Das Unternehmen wurde 2017 gegründet und kommt ursprünglich aus den Niederlanden. Der deutsche Ableger hat vier Mitarbeiter:innen in Berlin, zwei weitere in Stuttgart und Frankfurt. Bergmanns Ziel ist, dass irgendwann die Bundesregierung die Plattform übernimmt. „Wir sind der Auffassung, dass das was wir machen eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand ist“, sagt Bergmann.

Unter den Partnern von Madaster finden sich große Namen wie die Commerz Real aus der Commerzbank Gruppe, das Wohnungsunternehmen Vonovia und einer der global größten Zementhersteller, HeidelbergCement. Genau wie sein Concular-Kollege Campanella sieht auch Bergmann EU-Taxonomie und ESG-Reporting als Druckmittel auf dem Immobilienmarkt. „Ich bin überzeugt, dass künftig nur gut dokumentierte Gebäude gut verkauft werden können“, sagt Bergmann.

Sein großer Plan sieht vor, irgendwann eine kritische Masse an Häusern erfasst zu haben und deren Baumaterialien auf einer Karte sichtbar zu machen. Dort könnte man über Informationen zu Abrissen und Sanierungen einsehen, wann wo welches Material frei würde. Architekten könnten diese Informationen nutzen, um lokal an gebrauchte Baumaterialien zu kommen.

In der aktuellen Not, bezahlbar an Baumaterialien zu kommen, gewinnt die Idee an Attraktivität Der Weg in die Praxis ist aber noch weit. Bislang hat Madaster in Deutschland 60 Gebäude erfasst. Zehn davon stehen in Berlin, darunter EDGE East Side, der umstrittene Hochglanz-Büroturm an der Warschauer Straße, an dem noch gebaut wird und in dem Amazon 28 von 35 Stockwerke mieten will.

Genau wie Concular ist auch Madaster Partner von Assiduus beim Zille-Campus. Der Eigentümer nutzt ein weiteres Feature von Madaster: den Circularity Indicator. Dieser soll etwa anhand des angedachten Materials die aktuellen Planungen für den Zille-Campus nach ihrer Zirkularität bewerten. Also danach, wie kreislauffähig, wie nachhaltig der Bau sein wird.

Klar ist: Mit Nachhaltigkeit lässt sich auch im Bauwesen zunehmend Geld verdienen. Patrick Bergmann sagt dazu: „Warum ein Unternehmen nachhaltiger wird, ist nicht so wichtig. Hauptsache es wird es.“

öffnet in neuem Tab oder Fenster